Russlands neue Partner

Wie sich der Handel durch den Ukraine-Krieg verändert hat

Vor einem Jahr haben russische Truppen die Ukraine überfallen – ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Seitdem hat sich auch der weltweite Handel mit Russland dramatisch verändert. Weil der Westen zum Beispiel Sanktionen verhängt hat, sucht sich Moskau neue Partner – und findet sie in Asien.

Können Länder wie China und Indien die Verluste ausgleichen? Und wie groß sind die Einbußen, die Russland durch die westlichen Sanktionen erleidet?

Exporte: Wohin Russland seine Waren noch geliefert bekommt

2022 ist weniger Öl und Gas aus Russland in die Europäische Union geflossen als vor dem Angriff auf die Ukraine. Allerdings lagen die Preise deutlich höher. Im Vergleich zum durchschnittlichen Handel vor dem Krieg hat Russland nach der Invasion monatlich einen Wert von zusätzlich fünf Milliarden Dollar in die EU exportiert.

Die Folge: Russland liefert weniger, bekommt aber deutlich mehr Geld dafür. Deshalb war 2022 „ein gutes Einnahmenjahr“ für das Land, sagt Dr. Simon Gerards Iglesias vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln).

Die EU fällt als wichtiger Markt für Russland zunehmend aus. Weil kein Gas mehr fließt oder Öl geliefert werden darf. Deshalb hat sich Russland umorientiert – und weicht auf andere Länder aus.

China bekommt aus Russland mittlerweile 83 Prozent mehr Waren (gemessen am Wert in Dollar) als vor der Invasion. Nach Indien konnte Russland seine Lieferungen sogar mehr als versechsfachen, in die Türkei liefert Russland mehr als 160 Prozent mehr an Warenwert als vor der Invasion in die Ukraine.

China und Indien können die Verluste aus dem Geschäft mit dem Westen aber nicht komplett auffangen, erklärt Simon Gerards Iglesias. Zudem werde zum Beispiel der Preis für Öl wegen der EU-Sanktionen und der Verhandlungsmacht Asiens, insbesondere Chinas, weiter sinken – und damit auch die Einnahmen Russlands.

Importe: Welche Lieferungen Russland fehlen

Das zweite Problem für Russland: Viele Waren aus dem Westen dürfen nicht mehr nach Russland geliefert werden.

Der Handel mit der EU, dem lange wichtigsten Partner, ist um die Hälfte eingebrochen.

Entscheidend: Es sind wichtige, teils hochspezialisierte Hightech-Produkte oder Maschinen, die mitunter nur im Westen produziert werden.

„Man sieht, dass die Sanktionen dort massiv durchschlagen“, sagt Simon Gerards Iglesias.

Russland versucht, sich diese Produkte aus anderen Ländern zu besorgen – seien es Lieferungen aus Staaten, die keine Sanktionen verhängen, oder Schmuggel. Nur wenige Länder liefern mehr Produkte wie Elektronik oder Maschinen nach Russland als vor der Invasion – zum Beispiel China und die Türkei.

Doch „die Exporte aus diesen Ländern können die Rückgänge aus den anderen nicht aufwiegen“, erklärt Simon Gerards Iglesias.

Dass gerade Maschinen oder Hightech nicht mehr geliefert werden, schmerzt eine sowieso schon veraltete russische Wirtschaft. Viele der langfristig angelegten Sanktionen des Westens sollen Russland von diesen wichtigen Waren abschneiden.

„Genau das würde man bei diesem Typ Sanktionen erwarten. Dass es nicht sofort einen Schockmoment für die russische Wirtschaft gibt, sondern dass langfristig Sachen kaputt gehen und nicht repariert werden können“, erklärt Julian Hinz vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. „Das ist ein langsames Aufzehren von Infrastruktur.“

Beispiel Deutschland: Bei fast der Hälfte aller deutschen Exporte nach Russland handelte es sich vor der Invasion entweder um Maschinen, Fahrzeuge oder Chemieprodukte. Und diese Ausfuhren sind 2022 dramatisch eingebrochen.

Dass diese Exporte wegbrechen, sei für die deutsche Wirtschaft „im Allgemeinen vernachlässigbar“, erklärt Julian Hinz. Nur zwei Prozent der deutschen Ausfuhren gingen vor der Invasion überhaupt nach Russland. „Einzelne Unternehmen sind natürlich betroffen, im Großen und Ganzen schadet der Teil der deutschen Wirtschaft nicht.“ Deutschland habe „an der längeren Seite des Hebels“ gesessen, sagt Hinz. „Diese Sanktionen kosten Russland deutlich mehr als Deutschland.“

Fazit

2022 verdiente Russland an seinem Geschäft mit fossilen Brennstoffen noch viel Geld. Die russische Wirtschaft hat nach der Invasion in die Ukraine gelitten. Aber: Sie ist nicht so stark eingebrochen wie gedacht.

Gleichzeitig wird Russland künftig wohl weniger Geld mit Öl, Gas und Kohle einnehmen – weil Europa sich umorientiert und damit einer der wichtigsten Märkte für Russland wegbricht. „Selbst wenn der Krieg morgen aufhören würde, würde sich Europa nie wieder in dieselbe Situation begeben“, so Julian Hinz.

Dabei helfen zum Beispiel die LNG-Terminals, die es ermöglichen, Gas aus beliebigen Quellen weltweit zu beziehen. „Und das macht es natürlich deutlich schwieriger für die russische Wirtschaft, in Deutschland und Europa wieder Fuß zu fassen.“

Zudem konnte Russland den eingebrochenen Handel mit dem Westen bisher nicht auffangen.

„Langfristig fehlt Russland der Zugang zu Technologie und zu wichtigen Vorleistungsprodukten. Gerade, wo der Westen weltweit stark ist: Maschinen, Fahrzeuge, Elektronik“, sagt Simon Gerards Iglesias vom IW Köln. „Langfristig ist die Perspektive für die russische Wirtschaft sehr schlecht.“

Woher stammen die Daten?
Russland veröffentlicht seit Beginn der Ukraine-Invasion keine detaillierten Handelsstatistiken mehr. Wie sich die Importe und Exporte Russlands entwickelt haben, wissen wir dank der Daten anderer Länder trotzdem, weil Russlands Handelspartner diese Daten weiterhin publizieren. ZDFheute hat für diese Story die Daten des Brüsseler Thinktanks Bruegel genutzt, der regelmäßig die Handelsstatistiken von insgesamt 34 Ländern sammelt (EU, UK, USA, China, Indien, Türkei, Südkorea, Japan). Diese Staaten haben 2019 knapp 75 Prozent des russischen Handels ausgemacht.


Wie wurden die Veränderungen der Importe und Exporte insgesamt berechnet?
Die Daten wurden für diese Story in zwei Kategorien eingeteilt: „Vor der Invasion“ und „Nach der Invasion“. Berücksichtigt wurden dabei nur die Handelsdaten aus den vollständigen Kriegsmonaten März bis November 2022 (letzte verfügbare Daten). Diese wurden mit den Daten von März bis November 2019-2021 verglichen.

Wie wurden die Veränderungen der deutschen Exportgüter berechnet?
Das Statistische Bundesamt veröffentlicht monatlich detaillierte Außenhandelsstatistiken. Für diese Analyse, entsprechend des Güterverzeichnisses für Produktionsstatistiken, wurden die deutschen Exporte nach Russland in den Kriegsmonaten 2022 mit den Handelsdaten seit 2008 verglichen.

Quellen:
Bruegel, Statistisches Bundesamt, OEC, Comtrade,
Interview mit Dr. Simon Gerards Iglesias (IW Köln),
Interview mit Julian Hinz (IfW Kiel)

Autor:
Robert Meyer

Redaktion:
Kevin Schubert, Kathrin Wolff

Im Auftrag des ZDF:

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