Tonnenweise Hausmüll
Was uns unsere Mülltonnen über die Corona-Pandemie verraten
„Die Kombination von Lockdown, Homeoffice, aber auch viel Arbeit im Haushalt, hat zu deutlich mehr Haushaltsmüll geführt“, sagt der Hamburger Experte für Abfallwirtschaft Prof. Walter Leal.
Schnell denkt man dabei an Einweg-Masken, Online-Bestellungen oder Pizza-Kartons. Doch es ist noch mehr – die Pandemie spiegelt sich in unseren Mülltonnen wider.
Bundesweite belastbare Zahlen zum Anstieg des Hausmülls im ersten Pandemie-Jahr gibt es zwar noch nicht, unsere Anfragen bei Kommunen und Entsorgern zeigen allerdings einen klaren Trend.
Auf einem Streifzug durch deutsche Großstädte schauen wir exemplarisch in die Mülltonnen. Alle Beispiele zeigen eine Entwicklung, die sich ähnlich auch in den anderen Städten widerspiegelt.
Der Online-Handel hat in der Pandemie enorm zugenommen, damit schoss auch die Zahl der Versandkartons in die Höhe.
In Frankfurt kann man das aber nicht am Gewicht der Papiertonne ablesen. Insgesamt wurde hier sogar weniger Papiermüll gewogen. Warum?
Unser Papierverbrauch hat sich generell verlagert: „In der Branche wird dieses Phänomen als ‚Amazon-Effekt‘ bezeichnet“, sagt Michael Schneider vom Entsorgungsbetrieb Remondis: weniger Papier und dafür mehr Karton.
Viele Haushalte stehen deshalb vor vollen Papiertonnen. Dass der Papiermüll insgesamt weniger wurde, liegt an der Berechnung:
Das Müllaufkommen wird in der Regel nach Gewicht gemessen. Karton hat eine geringere Dichte als Papier. Dafür aber ein größeres Volumen. Vor allem, wenn Versandkartons nicht zusammengefaltet werden: Sie wiegen weniger, verbrauchen aber mehr Platz im Mülleimer. In den Frankfurter Papiertonnen beispielsweise stieg der Karton-Anteil um acht Prozent.
Ein Blick nach Köln zeigt: Unser Plastikverbrauch ist in der Pandemie gestiegen.
Zu den Gründen gehört:
• mehr Take-Away-Essen, geliefert mit Einwegbesteck und in Plastiktüten
• mehr Plastikmüll beim Kochen durch kleinteilig verpackte Zutaten
Quelle: Umweltbundesamt
Das Umweltbundesamt befürchtet zudem, dass Vorsätze, Plastik zu vermeiden, in der Pandemie eine geringere Rolle gespielt haben.
Geschlossene Bars, Restaurants und Hotels haben auch unsere Trinkgewohnheiten zuhause beeinflusst und zu deutlich mehr Altglas in privaten Haushalten geführt. Die Stadt Dresden hat das bereits berechnet. Hier ist die Glasmüllmenge deutlich gestiegen.
Neben leeren Wein-, Öl- und Essigflaschen spielen auch Lebensmittel in Gläsern eine Rolle beim Anstieg des Altglases in der Corona-Krise.
Der Verwertungsbetrieb Remondis beobachtet das gestiegene Glasmüllaufkommen bundesweit, rechnet aber mit einem Rückgang, sobald die Gastronomie, Bars und Clubs wieder vollständig geöffnet sind.
Der Blick in die Mülltonnen in Hamburg zeigt: Wir haben häufiger zu Hause gekocht und dadurch sind letztlich mehr Essenreste im Biomüll gelandet.
Die Stadtreinigung Hamburg macht aber noch einen anderen Trend für die Zunahme des Biomülls verantwortlich:
„Das gute Wetter gepaart mit den Homeoffice-Zeiten und der eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten führte zu mehr Gartenarbeit.“
Was zeigt uns unser Hausmüll noch? Wir haben aufgeräumt! Das ließ die Sperrmüll-Haufen wachsen, wie zum Beispiel aus Düsseldorf berichtet wird.
„Im ersten Lockdown hatten die Menschen in Düsseldorf mehr Zeit und haben einmal ordentlich ausgemistet, was zu deutlich höheren Mengen führte“, sagt Ralf Böhme vom Entsorgungsbetrieb AWISTA.
Zwischenzeitlich wurde in Düsseldorf so viel Sperrmüll herausgestellt, dass zusätzliche Müllfahrzeuge für die Sperrmüllabholung eingesetzt werden mussten.
Was unsere Mülltonnen vorher eher nicht kannten: OP- und FFP2-Masken. Diese landen im Restmüll. Der Anstieg beim Restmüll ist allerdings insgesamt moderat, wie beispielsweise in München.
Das Umweltbundesamt vermutet dahinter ein „gutes Trennverhalten der Bürger“ – mit entsprechend mehr Müll in der ‚richtigen‘ Tonne.
Viel zu Hause und weniger unterwegs sein – das verraten uns auch die öffentlichen Mülleimer in Berlin. Weniger Touristen, geschlossene Geschäfte und Restaurants haben 2020 für weniger Müll und sechs Prozent weniger Straßenkehricht gesorgt.
Während des ersten Shutdowns gingen die Abfälle noch deutlicher zurück. Die Kehrichtmenge sank sogar um 41 Prozent.
Überall problematisch: illegaler Abfall
Achtlos weggeworfener Müll ist laut Umweltbundesamt in ganz Deutschland „ein großes Problem.“ Das betreffe insbesondere illegal abgeladenen Sperrmüll und Elektrogeräte. Genaue Zahlen gibt es jedoch keine.
Der Blick in unsere Mülltonnen hat gezeigt:
Der Shutdown hat viele Aspekte unseres Alltags in die eigenen vier Wände verlagert. In der Konsequenz wurde dort mehr Müll produziert.
Dennoch kann man nicht von insgesamt mehr Müll sprechen. Denn Restaurants, Hotels und Geschäfte hatten lange geschlossen. Im Gewerbe wurde also deutlich weniger Müll produziert.
Entsorgungsbetriebe und auch Abfall-Experte Professor Leal vermuten deshalb: Der Müll, der im Haushalt zusätzlich verursacht wurde, wurde auf Seiten des Gewerbes eingespart. „Vermutlich hält es sich in etwa die Waage“, sagt Professor Walter Leal.
Quellen:
Professor Walter Leal, HAW Hamburg; Umweltbundesamt; Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.; REMONDIS; Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH; AWB Abfallwirtschaftsbetriebe Köln GmbH; Stadt Dresden; Stadtreinigung Hamburg; AWISTA; Abfallwirtschaftsbetrieb München; ALBA Group; Berliner Stadtreinigung
Redaktion:
Karsten Kaminski, Kevin Schubert, Jennifer Werner
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