Die Akte Klimawandel
Seit 200 Jahren erforscht die Wissenschaft den Treibhauseffekt. Wann hätte die Politik reagieren müssen – und wann handelte sie wirklich?
Die Akte Klimawandel
Seit 200 Jahren erforscht die Wissenschaft den Treibhauseffekt. Wann hätte die Politik reagieren müssen – und wann handelte sie wirklich?
Heute wissen wir: Mit den derzeitigen Klimazielen der Staaten der Welt steuern wir auf eine 2,7 Grad wärmere Erde zu – im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Und wir kennen auch die katastrophalen Folgen davon.
Aber wie konnte es so weit kommen? Seit wann wissen wir eigentlich, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt – und wann begann die Weltpolitik darauf zu reagieren?
Der Mathematiker und Physiker Jean Baptiste Joseph Fourier formuliert 1824 erstmals das Prinzip des Treibhauseffekts in der Atmosphäre und stellt fest:
Die Erde ist viel wärmer, als sie ohne Atmosphäre sein dürfte.
Der Grund: Für kurzwellige Sonnenstrahlung ist die Atmosphäre sehr transparent. Das gilt aber nicht für Infrarotstrahlung, auch Wärmestrahlung genannt. Sie wird vom erwärmten Boden der Erde abgegeben und kommt zum Teil wieder zur Erde zurück – der Treibhauseffekt:
Video: ZDF/Terra X/Gruppe 5/Luise Wagner,
Jonas Sichert, Andreas Hougardy, CC BY 4.0
Der Physiker und Chemiker Svante Arrhenius erkennt 1896: Steigt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre an, führt das zu einer Erwärmung. Ab einer gewissen Konzentration könnte die Welt 2 bis 4 Grad wärmer sein, schätzt Arrhenius.
Mit Messungen auf dem Berg Mauna Loa auf Hawaii zeigt der Chemiker Charles David Keeling 1960 erstmals, dass sich immer mehr CO2 in der Atmosphäre anreichert.
Der Physik-Nobelpreisträger 2021, Syukuro Manabe, erstellt mit dem Wissenschaftler Richard Wetherald ein erstes globales Klimamodell. Sie berechnen 1967: Bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre steigt die Durchschnittstemperatur auf der Erde um etwa 2,3 Grad an.
Zwei Jahre später kann das Klimamodell mit Satelliten-Messdaten verifiziert werden. Satellitendaten sind bis heute einer der entscheidenden Stützpfeiler der Klimaforschung.
Tatsächlich hat der Mensch die CO2-Konzentration gegenüber vorindustriellem Niveau mittlerweile um rund 50 Prozent erhöht. Der Effekt: Die Erde hat sich um 1,1 Grad Celsius erwärmt. Schon dieses erste, noch recht grobe Klimamodell von Manabe und Wetherald konnte die Klimaerhitzung also ziemlich genau vorhersagen.
Die erste Weltklimakonferenz bringt im Februar 1979 in Genf 350 Expert*innen zusammen, einberufen von der Weltwetterorganisation und weiteren Institutionen der Vereinten Nationen. Das Ergebnis ist eine Aufforderung an die Regierungen der Welt, „mögliche vom Menschen verursachte Klimaveränderungen, die sich nachteilig auf das Wohlergehen der Menschheit auswirken könnten, vorherzusehen und zu verhindern“.
Einem Expertengremium der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaft gelingt im Juli 1979 ein Konsens zur Erderwärmung: Eine Verdopplung der CO2-Konzentration werde sehr wahrscheinlich zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur von 1,5 bis 4,5 Grad führen.
Zu diesem Zeitpunkt waren die wesentlichen wissenschaftlichen Beweise für das Verständnis der globalen Erwärmung gefunden.
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Zu diesem Zeitpunkt waren die wesentlichen wissenschaftlichen Beweise für das Verständnis der globalen Erwärmung gefunden.
Forschende analysieren 1980 im Polareis eingeschlossene Luft. Weil sich ein Eisschild aus übereinanderliegenden Jahresschichten zusammensetzt, kann die Analyse dieser Eisbohrkerne zeigen: Während der letzten Eiszeit vor 15.000 bis 20.000 Jahren war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nur halb so hoch wie zum Zeitpunkt der Studie.
Ein Beleg für die Forschung Arrhenius', der die Rolle der CO2-Konzentration für die Temperaturentwicklung auf der Erde schon 1896 erkannt hatte.
Die Daten von weiteren Studien ermöglichen inzwischen einen Blick sehr weit zurück in die Vergangenheit:
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Das Perfide ist ja: Diejenigen, die für die Produktion der Brennstoffe, also der fossilen Ressourcen, zuständig sind und damit richtig reich geworden sind, die wussten das ja auch.
Das Perfide ist ja: Diejenigen, die für die Produktion der Brennstoffe, also der fossilen Ressourcen zuständig sind und damit richtig reich geworden sind, die wussten das ja auch.
In den 1970ern beauftragen Ölkonzerne wie Exxon oder Shell intern Forschungen zum Klimawandel.
Eine 1982 fertiggestellte Studie von Exxon, die inzwischen bekannt geworden ist, erwartet für 2019 eine um 0,9 Grad wärmere globale Durchschnittstemperatur. Eine Vorhersage, die sich exakt bewahrheitet hat.
Die hausinterne Forschung von Shell beschreibt auch die Folgen des Klimawandels, wie etwa häufigere Extremwetterereignisse, und spricht von Veränderungen „größer als in den vergangenen 12.000 Jahren”. Auch der Energiekonzern Total wusste spätestens seit 1971 von den schädlichen Auswirkungen fossiler Brennstoffe auf das Klima, wie eine 2021 erschienene Studie zeigt.
Die Reaktion: In Widerspruch zu den eigenen Erkenntnissen gründen Shell und Exxon mit weiteren Ölmultis die Lobbyorganisation „Global Climate Coalition“, die mit einem Millionenetat systematisch die Ergebnisse der Klimawissenschaften in Zweifel zieht, bis sie sich 2002 schließlich auflöst.
Die Weltpolitik setzt sich nun beim Klimawandel in Bewegung: 1988 beschließt die UN-Generalversammlung die Gründung des Weltklimarats (IPCC). Das zwischenstaatliche Expertengremium soll wissenschaftliche Erkenntnisse sammeln:
- zum Klimawandel und seinen sozialen und wirtschaftlichen Folgen
- zu möglichen Strategien, um den Klimawandel aufzuhalten und die Folgen abzumildern
- zur Verbesserung von rechtlichen Instrumenten mit Bedeutung für das Klima
Ehrenamtlich arbeiten seither Tausende Forschende aus der ganzen Welt an den umfangreichen Berichten des IPCC.
1992 wird die UN-Klimarahmenkonvention gegründet, im Rahmen der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro. Heute gehören ihr 197 Staaten an und damit nahezu alle Länder der Welt.
Das Ziel der Konvention wurde 1992 in Artikel 2 festgehalten: „Die Stabilisierung der Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau, das eine gefährliche anthropogene* Störung des Klimasystems verhindert.“
*durch den Menschen verursachte
1995 gelingt einem Forscherteam um den deutschen Physiker Klaus Hasselmann der Beweis für den menschengemachten Klimawandel: Die inzwischen bereits gemessene Erderwärmung lässt sich mit einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zurückführen. Das Modell dafür hatte Nobelpreisträger Hasselmann bereits in den 70ern entwickelt, als der Klimawandel bereits gut verstanden und erforscht war.
1997 wird als erstes Abkommen der Klimarahmenkonvention das Kyoto-Protokoll beschlossen. Nach und nach wird es von 191 Staaten ratifiziert. Industriestaaten wie auch Deutschland verpflichtet das Protokoll zur Reduzierung ihrer Treibhausgas-Emissionen. Denn gerade diese Staaten sind zu einem großen Teil verantwortlich für den menschengemachten Klimawandel, wie das Protokoll festhält.
In Kraft tritt das Kyoto-Protokoll erst 2005. Gegenüber 1990 sollen die Staaten ihre Emissionen bis 2012 um mindestens fünf Prozent reduzieren.
Klimaforschende stellen 2009 erstmals ein Rechenmodell vor, das bei der Vorhersage der globalen Erwärmung auch natürliche Schwankungen wie etwa das Klimaphänomen El Niño berücksichtigt und sich nicht nur auf gemessene Daten etwa zu Treibhausgasen beschränkt.
Die Vorhersage des Modells: Mindestens die Hälfte der Jahre zwischen 2009 und 2014 werde im Durchschnitt heißer sein als das bisherige Rekordjahr 1998. Die Modellierung sollte Recht behalten: Vier der sechs Jahre wurden heißer als 1998, eines genauso heiß, nur ein Jahr war kühler.
So funktionieren Klimamodelle:
Video: ZDF/Terra X/Gruppe 5/Luise Wagner, Jonas Sichert,
Andreas Hougardy, CC BY 4.0
Forschende untersuchen 2012 einige extreme Wetterereignisse, darunter Hitzewellen und Extremniederschläge. Das Ergebnis ihrer so genannten Attributions-Studien: Der Klimawandel hat diese Extremereignisse verstärkt.
Zwei Jahre später gründet sich die „World Weather Attribution”, ein Zusammenschluss von Forschenden auf dem Gebiet. 2021 stellt dieses Forschungsteam fest, dass die Hochwasserkatastrophe in Deutschland durch den Klimawandel stärker und wahrscheinlicher wurde.
In Doha, der Hauptstadt von Katar, wird 2012 ein zweiter Geltungszeitraum für das Kyoto-Protokoll beschlossen. Für den Zeitraum von 2013 bis 2020 verpflichten sich die Vertragsstaaten, ihre Emissionen um mindestens 18 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Das 2015 verabschiedete Pariser Klimaabkommen hat ein zentrales Ziel: Die Erderwärmung soll deutlich unter 2 Grad gehalten werden – verglichen mit dem vorindustriellen Niveau. Die Staaten verpflichten sich mit dem Abkommen zudem dazu, Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Anders als in Kyoto, gibt das Pariser Abkommen den 193 Unterzeichnerstaaten keine klar bezifferten Ziele zur Reduzierung ihrer Emissionen vor. Die Vertragsstaaten sollen sich eigenständig ambitionierte Ziele setzten, wie stark sie ihre Emissionen ab 2020 senken wollen.
Da stehen wir heute:
Diese selbst gesetzten Ziele würden zu einer Erwärmung von 2,7 Grad führen, wie das Büro der Klimarahmenkonvention im September 2021 bekannt gab. Der Weltklimarat hat zudem errechnet, dass sich die Welt bei der derzeitigen Entwicklung bereits in den frühen 2030er Jahren um 1,5 Grad erwärmt haben wird.
Warum hat die Politik so spät reagiert – und dann auch nicht ausreichend?
Die jahrzehntelange Lobbyarbeit gegen Klimaschutz sei einer der Gründe für die Lücke zwischen dem Wissen um die Klimakrise und der Reaktion der Welt darauf, sagt die Journalistin Annika Joeres, die seit vielen Jahren zum Thema recherchiert.
Dass wir heute unter enormem Zeitdruck stehen beim Klimaschutz, ist das große Versäumnis der Klimakonferenzen der vergangenen Jahrzehnte, die unter dem Einfluss der Großindustrien standen.
Besonders die Umsetzung der vereinbarten Ziele sei das Problem gewesen, sagt Hans-Otto Poertner, einer der leitenden Autoren des Weltklimarats.
Es sind Ziele formuliert worden, die dann verfehlt wurden, das gehörte ja fast schon zur Tradition der Regierungen. Man nahm das auf, aber hat es nicht in die entsprechenden Regelwerke umgesetzt, die zum Erfolg führen.
Das Problem liege aber auch in der Formulierung der Ziele, sagt Sabine Schlacke, die die Bundesregierung zu globalen Umweltfragen berät. Die Reduktionsziele für Treibhausgas-Emissionen hätten sich nicht an den Temperaturzielen orientiert, die aus der Wissenschaft kamen: etwa eine Erwärmung von 2 Grad nicht zu überschreiten.
Politik hat nie von diesen Temperaturzielen runtergerechnet, was noch an Budget auf die einzelnen Staaten zukommt. Das ist ein politischer Kompromiss.
Dabei wäre genau das sinnvoll, sagt Schlacke: klare CO2-Budgets, was einzelne Staaten noch ausstoßen dürfen.
Mehr Klimawissen? Hier geht’s zum "Terra X"-Klimaschwerpunkt:
Quellen:
UN IPCC,
UNFCCC, WMO,
Deutsches Klima-Konsortium, Bundesumweltministerium
Fotos:
AP Images, dpa, epa, Getty Images, iStock
Autor:
Nathan Niedermeier
Redaktion:
Kathrin Wolff,
Kevin Schubert
Im Auftrag des ZDF:
Redaktion:
Nadine Braun
Design:
Mischa Biekehoer