Dramatische Lage auf den Intensivstationen

Warum die Situation deutlich angespannter ist als noch vor einem Jahr

Die Corona-Neuinfektionen sind so hoch wie nie – und das Personal auf den Intensivstationen ist so knapp wie nie. Diese Mischung macht die aktuelle Lage so brisant:

Fast die Hälfte aller Intensivstationen können derzeit nur noch eingeschränkt arbeiten.

Denn die Belastung der Intensivstationen steigt seit Anfang November 2021 massiv an.

Es gibt Leute, die sagen: ‚Ach, ich denke, das betrifft mich nicht.‘ Doch, also ich kann nur sagen: Es kann jeden betreffen. Die jüngste Patientin, die wir jetzt hier hatten, war 17 Jahre alt. Die war auch auf Intensivstation – ungeimpft.
Prof. Dr. Sebastian Maier, Chefarzt des Klinikums St. Elisabeth Straubing

65 Prozent der Intensivpatienten in Deutschland sind ungeimpft. Doch 35 Prozent der Intensivpatient*innen sind vollständig geimpft.

Dieser Anteil muss jedoch in Zusammenhang mit der erreichten hohen Impfquote interpretiert werden.

Je mehr Menschen geimpft sind, desto häufiger kann es auch zu Impfdurchbrüchen kommen. Auch Geimpfte können folglich auf der Intensivstation landen.

Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch zehnmal niedriger als ohne Impfung.

Ohne die Impfung hätten wir in Deutschland bei der jetzigen Inzidenz kein einziges freies Intensivbett mehr zur Verfügung.
Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Notfallmedizin am Uniklinikum Schleswig-Holstein in Kiel

Immer weniger Intensivbetten wegen Personalmangel

Trotz der angespannten Situation hat die Zahl der Betten auf Intensivstationen innerhalb der Corona-Krise abgenommen.

Anfang November 2021 gab es 5.000 weniger betreibbare Intensivbetten als noch ein Jahr zuvor, so der Divi-Präsident Professor Gernot Marx.

Dabei benötigen insbesondere Corona-Patient*innen auf Intensivstationen besonders viel Pflege. Durch das aufwändige Drehen von Covid-Erkrankten kommt auf einen Pflegenden im Idealfall eine zu pflegende Person.

Die Arbeit ist so anstrengend, weil die Patienten unberechenbar sind. Denen geht es in einem Moment noch gut, das kann sich aber in einer halben Stunde schon so ändern, dass der Patient von der Atmung her so schlecht ist, dass man ihn intubieren muss, beatmen muss, vielleicht sogar auf den Bauch drehen.
Petra Rücker, stellvertretende Pflegeleitung der Intensivstation, Klinikum St. Elisabeth Straubing

Um diese Pflege zu gewährleisten, fehlt immer mehr Stationen das nötige Personal.

Personalmangel wird von den Intensivstationen als häufigster Grund für einen eingeschränkten Intensiv-Betrieb angegeben. Und das Problem spitzt sich weiter zu.

Nach einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts steht über 70 Prozent der Intensivstationen weniger Personal zur Verfügung als Ende 2020.

Mein Mann sagt oft: ‚Die lassen sich nicht impfen, aber du musst dich der Gefahr aussetzen.‘
Petra Rücker, stellvertretende Pflegeleitung der Intensivstation, St. Elisabeth Straubing

Weniger Intensivbetten sind nicht nur für Corona-Patient*innen ein Problem.

Denn alle anderen müssen warten, wenn keine Betten mehr frei sind. Planbare Operationen werden verschoben.

Quellen:
Deutsches Krankenhausinstitut; DIVI-Intensivregister; DIVI-Pressemeldung (4.11.2021); Interview mit Pflegeleiterin Petra Rücker; Interview mit Prof. Dr. Sebastian Maier; RKI: Wöchentlicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (25.11.2021); Science Media Center

Fotos:
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Autor:
Simon Hrubesch

Redaktion:
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