Greenwashing mit CO2-Zertifikaten 

Wie Konzerne beim Klimaschutz tricksen können

Klimaneutral. Viele Unternehmen bezeichnen ihre Produkte so – und wollen in Zukunft auch als gesamter Konzern klimaneutral sein.  

Zum Beispiel Shell.

Oder Volkswagen.

Oder auch Entega.

Die Versprechen dieser Konzerne: Wir leisten unseren Beitrag, den menschengemachten Klimawandel einzudämmen – und ihr könnt mit gutem Klimagewissen konsumieren.

Nur – stimmt das?

Die Behauptungen der Konzerne beruhen alle auf dem gleichen Konzept: dem Kauf von CO2-Zertifikaten auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt. Ein System, das viel verspricht – doch kaum etwas einhält. 

So funktioniert es: 

Auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt werden CO2-Zertifikate gehandelt. Pro Zertifikat soll eine Tonne CO2 eingespart worden sein. Kauft das Unternehmen ein Zertifikat, kann es die vermeintlich eingesparte Tonne CO2 auf seine Emissionen anrechnen. 

Entstehen bei der Produktion eines Autos 100 Tonnen CO2, kann ein Unternehmen ein Fahrzeug bislang als klimaneutral bewerben, wenn es 100 CO2-Zertifikate kauft.

Um tatsächlich CO2 einzusparen, investieren Zertifikat-Händler oft in Waldschutzprojekte – eine grundsätzlich gute Idee. Dabei geht es nicht um Aufforstung, sondern um den Schutz eines bereits bestehenden Waldes.

Zu Beginn des Projekts wird eine sogenannte Baseline festgelegt, die Grundlage anschließender Berechnungen. Dabei wird angenommen, dass ein bestimmter Anteil des Waldes vernichtet wird – beispielsweise durch Abholzung.

Ist die Abholzung dann geringer als in der Baseline vorhergesagt, wurde durch das Waldschutzprojekt CO2 eingespart – das nun als CO2-Zertifikat verkauft werden kann. Soweit die Theorie.

Wie sieht es in der Praxis aus?

Brasilien, Bundesstaat Para:

Genau hier liegt eines dieser Waldschutzprojekte.

Es verdeutlicht die Probleme des Systems:

In diesem Wald wurden seit Projektstart angeblich rund zehn Millionen Tonnen CO2 eingespart. So viele Zertifikate wurden aus dem Waldschutzprojekt bereits auf den Markt gebracht.

Auch der Darmstädter Energieversorger Entega hat Zertifikate aus diesem Projekt gekauft – und sein Gas damit als klimaneutral vermarktet.

Ein internationales Forscherteam hat jedoch die Baseline mehrerer Waldschutzprojekte untersucht – unter anderem das Schutzprojekt in Para. 

Das Ergebnis: Die Baseline ist viel zu hoch angesetzt – und müsste eigentlich viel niedriger liegen.

Im Klartext: Bei diesem Waldschutzprojekt wurden Zertifikate verkauft, die es nie hätte geben dürfen.

 Doch nicht nur das:

Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass das Projekt Entwaldung reduziert. Deshalb dürften aus dem Projekt gar keine Zertifikate generiert werden.
Dr. Thales West, Institute for Environmental Studies Vrije Universiteit Amsterdam

Ein globales Problem: Der Wissenschaftler Thales West und sein Team fanden heraus, dass bei über 90 Prozent der untersuchten Waldschutzprojekte gar kein CO2 eingespart wird.

Die zu hoch angesetzte Baseline ist für die Projektbetreiber lukrativ: Wenn sie mit deutlich mehr Abholzung rechnen, als realistisch betrachtet passieren wird, können sie auch Wald als „geschützt“ verkaufen, der ohnehin nicht angetastet worden wäre und so mehr Zertifikate verkaufen.

Das Ergebnis: Die Baseline ist viel zu hoch angesetzt – und müsste eigentlich viel niedriger liegen.

Im Klartext: Bei diesem Waldschutzprojekt wurden Zertifikate verkauft, die es nie hätte geben dürfen.

 Doch nicht nur das:

Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass das Projekt Entwaldung reduziert. Deshalb dürften aus dem Projekt gar keine Zertifikate generiert werden.
Dr. Thales West, Institute for Environmental Studies Vrije Universiteit Amsterdam

Ein globales Problem: Der Wissenschaftler Thales West und sein Team fanden heraus, dass bei über 90 Prozent der untersuchten Waldschutzprojekte gar kein CO2 eingespart wird.

Die zu hoch angesetzte Baseline ist für die Projektbetreiber lukrativ: Wenn sie mit deutlich mehr Abholzung rechnen, als realistisch betrachtet passieren wird, können sie auch Wald als „geschützt“ verkaufen, der ohnehin nicht angetastet worden wäre und so mehr Zertifikate verkaufen.

Das bestätigen auch ZDF-Recherchen vor Ort: In der Projektregion Para leben Bewohner der Flussgemeinschaften, genannt Ribeirinhos. Sie hatten nie vor, den Wald großflächig zu roden, und fühlen sich von den Projektbetreibern betrogen.

Die wahren Hüter des Waldes sind wir, die wir hier wohnen. Die Ribeirinhos leben schon seit 100 Jahren so und der Wald ist intakt.
Nilson Silva, Gewerkschafter der Ribeirinhos

Die Ribeirinhos betreiben im Wald nachhaltige Landwirtschaft, während ringsherum Palmöl- und Viehkonzerne die Wälder roden. Dort, in diesen Abholzgebieten, gibt es jedoch keine Waldschutzprojekte.

Der Betrug ist allerdings noch größer:

Wir haben festgestellt, dass schon die Grundlage des Projekts illegal ist. Denn beim fraglichen Gebiet handelt es sich um einen öffentlichen Wald, wo der Staat den traditionellen Gemeinden Nutzungsrechte ausgesprochen hat und es vom Staat keine Autorisierung für das Projekt gab.
Andreia Barreto, Verteidigerin der Ribeirinhos

Barreto spricht deshalb bei dem Projekt von Landraub und fordert, dass „ alle Rechtsgeschäfte, die sich daraus ergeben werden, für ungültig erklärt werden.“

Noch gravierender für den Klimaschutz: Viele Waldschutzprojekte schützen den Wald überhaupt nicht.

ZDF-Recherchen zeigen:

In vielen Projektregionen kommt es trotzdem zu massiver Entwaldung – in manchen sogar stärker als zuvor. Betroffen sind auch Projekte, von denen etwa Shell und VW Zertifikate gekauft haben. Das zeigen Satellitendaten der Firma AlliedOffsets, die das ZDF ausgewertet hat.

Wir haben die Unternehmen mit den Recherchen konfrontiert: 

Ein weiteres Problem: Recherchen der britischen Rechercheplattform „Source Material“ und der Umweltorganisation „Greenpeace“ zeigen: In vielen Fällen kommt nur ein Bruchteil des Geldes, das Unternehmen für ihre Zertifikate bezahlen, auch tatsächlich bei den Projekten vor Ort an. Dabei investieren die Unternehmen keine geringen Summen:

Etwa unser Beispiel Shell.

Oder auch Automobilgigant Volkswagen.

Entega wird für seine Kompensationsprojekte sogar ausgezeichnet.

Hat der Markt mit freiwilligen CO2-Zertifikaten eine Zukunft?

Trotz der Probleme wird der freiwillige Markt Prognosen zufolge weiterwachsen – von heute ein bis zwei auf bis zu 50 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030.

Doch für den Klimaschutz sind die Kompensationsstrategien der Konzerne eine Katastrophe, sagen Expert*innen wie Carsten Warnecke vom „New Climate Institute“: Wenn überhaupt, sparen die Zertifikate viel weniger CO2 ein, als sie vorgeben.

Warnecke fordert die Unternehmen auf, statt auf dem Papier die Emissionen real zu reduzieren: 

Wir müssen jetzt handeln und wenn die Unternehmen uns vorgaukeln, dass sie jetzt handeln, das aber nicht tun, dann ist das ein Riesenproblem – und dann ist es auch ein existenzielles Problem.
Carsten Warnecke, New Climate Institute

Mehr zu dem Thema in der frontal-Doku Greenwashing: Das Märchen von der Klimarettung (35 Minuten): 

Quellen:  
AlliedOffsets; DHL; Entega; Shell; Verra Registry; Volkswagen; Volkswagen-ClimatePartner; eigene Recherchen;
McKinsey (2021): A blueprint for scaling voluntary carbon markets to meet the climate challenge;
  West, T. et al. (2023): Action needed to make carbon offsets from forest conservation work for climate change mitigation. Science;
West, T. et al. (2020): Overstated carbon emission reductions from voluntary REDD+ projects in the Brazilian Amazon. PNAS. Vol. 117 No. 39 

Karten:
OpenStreetMap

Fotos:
ZDF

Autoren:
Eleni Klotsikas, Nathan Niedermeier, Jan Schneider 

Redaktion:
Michael Hölting, Kevin Schubert 

Im Auftrag des ZDF:

Design:
Jens Albrecht, Henning Bunzel, Josephine Gudakow, Peter Jäkel-Caprano