Corona-Puls

Warum im Osten die Herzen schneller schlagen

Menschen mit niedrigem Ruhepuls leben länger. Wie häufig die Herzen in Ihrer Region schlagen, zeigen RKI-Daten von einer halben Million Menschen, die seit Beginn der Corona-Krise ihren Ruhepuls messen.

Wo die Menschen entspannter sind

Mit den Daten aus Fitnessarmbändern und Smartwatches erhofft sich das Robert-Koch-Institut (RKI) Fiebererkrankungen und damit Corona-Hotspots frühzeitig zu erkennen.

ZDFheute hat die vom RKI mit einer App gesammelten Daten exklusiv ausgewertet. Das sind die Ergebnisse:

Regionen, in denen die App-User im Schnitt einen besonders niedrigen Ruhepuls von unter 60 haben, liegen fast ausschließlich im Süden Deutschlands.

Darunter befinden sich sowohl Großstädte, wie Heidelberg und München, als auch ländlich geprägte Regionen wie Garmisch-Partenkirchen und Traunstein.

Bei ostdeutschen App-Usern liegt der Ruhepuls im Schnitt um 0,8 Schläge höher als bei westdeutschen.

Von den zehn Regionen mit dem höchsten Puls liegen sieben im östlichen Teil Deutschlands.
Die Großstadt mit dem höchsten Ruhepuls im Westen ist Pforzheim.

Der Puls der Nation

Wie schnell die Herzen in Ihrer Region schlagen, zeigt eine interaktive Karte. Im bundesweiten Schnitt haben die App-User tagsüber einen Ruhepuls von 61 Schlägen pro Minute.

Weniger Schläge, längeres Leben?

Die Unterschiede scheinen auf den ersten Blick gering. Doch schon die Zunahme des Ruhepulses um nur einen Schlag pro Minute erhöht bei 50-jährigen Männern das Risiko zu sterben.

Herzfrequenz-Picto +1 Schlag (Puls) Grabstein-Picto +3% (Sterberate)

Das haben Forscherinnen und Forscher der Universität Göteborg 2019 in einer Langzeitstudie herausgefunden.

Spitzenathleten: 40 Schläge Freizeitsportler: 60 bis 70 Schläge Untrainierte: über 80 Schläge

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die mit Abstand häufigste Todesursache.

In Regionen, in denen die Herzen langsamer schlagen, haben die Bewohner in der Regel auch eine höhere Lebenserwartung.

See-Piktogramm: Starnberg 59,7 / 83,4 Frauenkirchen-Piktogramm: München 59,7 / 83 Schlossruinen-Piktogramm: Heidelberg 59,1 / 82,7 VERSUS Stier-/Horn-Piktogramm: Pirmasens: 62,7 / 77,4 Zechen-Piktogramm: Gelsenkirchen: 61,7 / 78,5 Wald-Wiesen-/Felder-Piktogramm: Altmark 62,9 / 78,8

Unklar ist, ob ein niedriger Ruhepuls tatsächlich auch die Ursache für ein längeres Leben ist – und welche Rolle andere Faktoren spielen, etwa eine allgemein gesündere Lebensführung.

Ein erhöhter Ruhepuls ist in jedem Fall ein Warnsignal für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Prof. Michael Böhm, Kardiologe am Universitätsklinikum des Saarlandes
Portrait Michael Böhm

Sind Ostdeutsche gestresster?

Die Frage, warum die Herzen im Osten schneller schlagen, lässt sich mit den RKI-Daten zwar nicht abschließend klären. Fest steht aber: Es gibt einen Zusammenhang zwischen hohem Ruhepuls und niedrigem Einkommen.

Den Sozialepidemiologen Jens Hoebel überrascht das nicht. Der schnellere Herzschlag in sozial und wirtschaftlich stärker benachteiligten Regionen deckt sich auch mit seinen Beobachtungen. Am RKI untersucht Hoebel, wie finanzielle Not und mangelnde Perspektiven die Entstehung von Krankheiten beeinflussen.

Chronischer Stress durch soziale Benachteiligung ist ein Risikofaktor für verschiedene chronische Erkrankungen. Und ein erhöhter Ruhepuls tritt häufig als Begleiterscheinung auf.
Jens Hoebel, Sozialepidemiologe

Hoebel zufolge trifft krankmachender Stress nicht in erster Linie Menschen in stressigen, gut bezahlten Manager-Berufen, sondern vor allem Gruppen in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen.

Großstadtbewohner im Osten sind entspannter

Doch nicht nur das Einkommen spielt eine Rolle. Die RKI-Daten zeigen in weiten Teilen Ostdeutschlands ein auffälliges Stadt-Land-Gefälle.

App-User aus Großstädten haben in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg im Schnitt einen niedrigeren Ruhepuls als jene aus ländlich geprägten Regionen.

Das ist der optimale Puls – und so wurden die Daten erhoben

Mein Ruhepuls ist viel höher – muss ich mir jetzt Sorgen machen?

Bei den genannten Zahlen handelt es sich um Durchschnittswerte von Frauen und Männern, die im Schnitt 48 Jahre alt sind und ihren Puls regelmäßig mit einem Fitnessarmband überprüfen; individuell schwanken die Werte zwischen 40 und 90 Schlägen pro Minute. Sollte sich Ihr Ruhepuls stark von den Durchschnittswerten unterscheiden, ist das noch kein Grund zur Sorge – sofern dieser nicht dauerhaft bei mehr als 70 oder weniger als 50 Schlägen pro Minute liegt.

Wie kann ich meinen Ruhepuls messen?

Setzen oder legen Sie sich fünf Minuten lang entspannt hin. Anschließend den Puls mit zwei Fingern am Handgelenk ertasten, alternativ an der Halsschlagader; die Schläge 60 Sekunden lang mitzählen. Das Ergebnis ist Ihr Ruhepuls. Alternativ können Sie auch nur 15 Sekunden lang zählen und das Ergebnis mit vier multiplizieren.

Gibt es beim Ruhepuls einen Unterschied zwischen Frauen und Männern?

Ja, dem Kardiologen Michael Böhm zufolge ist dieser aber gering. Einen großen Unterschied gibt es hingegen bei Erkrankungen des Herzens. Diese treffen Männer viel häufiger als Frauen. Die Sterblichkeit aufgrund Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei Frauen wiederum insgesamt deutlich höher.

Welche Sportart ist geeignet, den Ruhepuls zu senken?

Für gesunde Menschen eignet sich vor allem Ausdauersport. Der französische Fitness-Wearable-Hersteller Withings hat untersucht, welche Sportart den Ruhepuls („Puls im Schlaf“) dauerhaft senkt, ohne sich überanstrengen zu müssen ( „Max. erreichter Puls beim Sport“).

Wie wurden die Daten erhoben?

Der Ruhepuls, die Schrittanzahl sowie die Postleitzahl der App-User wurden zwischen dem 12. April und dem 14. Juni über die „Datenspende”-App des RKI gesammelt. Folgende Daten konnten die 516.286 App-User außerdem freiwillig angegeben:
- Geschlecht
- Alter
- Gewicht
- Körpergröße
- weitere Gesundheits- und Aktivitätsdaten

Anschließend hat das RKI die Daten auf Kreisebene aggregiert. Das Durchschnittsalter der App-User liegt im Osten wie im Westen Deutschlands bei rund 48 Jahren. Diese Gruppe ist allerdings nicht repräsentativ für alle Deutschen.

Wurden vom RKI auch personenbezogene Daten abgefragt?

Die Nutzung der „Datenspende”-App ist freiwillig und pseudonymisiert. Weder das RKI noch das ZDF hatten Kenntnis über persönliche Informationen wie Name oder Anschrift der App-Nutzer.

Weitere Informationen über das Projekt finden Sie auf der Webseite des RKI.

Quellen:
RKI, DGK, Universität Göteborg, Universitätsklinikum des Saarlandes, Thünen-Institut für Ländliche Räume, Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit

Foto:
caro

Autor:
Simon Haas

Redaktion:
Jennifer Werner, Karsten Kaminski, Lucas Eiler

Im Auftrag des ZDF:

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Sophie Gülzow

Design:
Mischa Biekehör, Josephine Gudakow