Diagnose: Long Covid
Womit Betroffene zu kämpfen haben
Nach einer überstandenen Corona-Infektion klagen etwa zehn bis 15 Prozent der Betroffenen über lang anhaltende Symptome. Bei aktuell 4,3 Millionen Menschen in Deutschland, die eine Corona-Infektion überstanden haben, gehen Expert*innen von etwa 400.000 Patient*innen aus, die an Langzeitfolgen leiden.
Forschende arbeiten intensiv daran, die genauen Symptome und Ursachen der Langzeitfolgen zu entschlüsseln und so den Betroffenen zu helfen.
Eine Studie der Oxford-Universität zeigt: Die meisten Symptome treten in den ersten drei bis sechs Monaten nach einer Corona-Infektion auf.
Das Wichtigste ist, dass wir die Mechanismen verstehen. Und es ist wahrscheinlich nicht einer, sondern es sind unterschiedliche Mechanismen, weil wir es mit unterschiedlichen Krankheitsbildern und Symptomkonstellationen zu tun haben. Wenn wir diese Mechanismen verstanden haben, dann können wir auf dieser Grundlage auch gezielte Behandlungen entwickeln.
Häufig treten bei Betroffenen nur einzelne Symptome auf. Bei einigen Patient*innen zeigt sich aber auch ein Komplex mehrerer Beschwerden, die dem Chronischen Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrom/CFS) ähneln.
Die Beschwerden machen sich mit ähnlichen Symptomen wie bei einer Depression bemerkbar.
Durch die Isolation im Shutdown ist die Zahl der Menschen mit depressiven Beschwerden weltweit um etwa 28 Prozent gestiegen.
Beim Chronic Fatigue-Syndrom berichten Betroffene häufig von einer Belastungsintoleranz (Post-Exertional Malaise/PEM), die sie körperlich stark schwächt und selbst alltägliche Tätigkeiten zur Herausforderung werden lässt.
Anders als bei einer Depression verschlechtern körperliche oder geistige Aktivitäten hierbei den Zustand der Betroffenen.
Wann ist von Long Covid die Rede?
Eine Corona-Erkrankung lässt sich in drei unterschiedliche Phasen unterteilen:
1. Akute Covid-19-Erkrankung
- Anzeichen und Symptome einer Infektion mit leichtem Verlauf für bis zu vier Wochen, treten bei etwa 25 Prozent der Erkrankten auf
- kann bei schweren Verläufen doppelt so lange anhalten
2. Subakute Krankheitsphase
- Anzeichen und Symptome einer Infektion, die auch vier bis sechs Wochen nach Beginn der Corona-Erkrankung andauern
3. Post-Covid-Syndrom
Long Covid wurde zuletzt von der Weltgesundheits-organisation (WHO) als Post-Covid-Syndrom definiert:
- Beschwerden treten innerhalb von drei Monaten nach einer Corona-Infektion auf
- halten mindestens zwei Monate an
- mit keiner anderen Diagnose erklärbar
Einige Langzeitfolgen können auch schon während der akuten Erkrankungsphase auftreten und bleiben längerfristig bestehen. Sie können sich aber auch erst Wochen oder sogar Monate nach der Infektion bemerkbar machen.
Wie verändert Long Covid den Alltag der Betroffenen?
Die Diagnose stellt das Leben der Patient*innen auf den Kopf, denn ihr bisheriger Alltag ist für viele so kaum mehr möglich.
Gibt es Risikofaktoren für Long Covid?
Nimmt die Corona-Erkrankung einen schweren Verlauf, sind Langzeitfolgen wahrscheinlicher.
Doch auch bei einer Corona-Erkrankung mit nur geringen oder keinen Symptomen sowie bei jungen, gesunden Menschen ohne Vorerkrankung wurden langfristige Beschwerden wie Geschmacksstörungen und Erschöpfung beobachtet.
Einige weitere Faktoren können beeinflussen, ob Langzeitfolgen auftreten:
Was verursacht die langfristigen Symptome?
Forscher*innen untersuchen aktuell verschiedene mögliche Ursachen der Langzeitfolgen:
Wir gehen davon aus, dass sicher eine Überreaktion des Immunsystems eine wichtige Rolle spielt bei Long Covid. Und wir wissen, dass Frauen ein aktiveres Immunsystem haben, dass sie zum Beispiel auch häufiger Autoimmunerkrankungen bekommen.
Da viele Aspekte des Krankheitsbildes noch unerforscht sind und es nur wenige spezialisierte Ärzt*innen gibt, sind für die Betroffenen Selbsthilfegruppen und Foren, z. B. im Internet, ein wichtiger Anker, um Therapiemöglichkeiten zu finden und sich auszutauschen.
Zum Krankheitsbild Long Covid sind aktuell noch viele Fragen offen, die von Forschung und Medizin intensiv betrachtet werden müssen.
Es gibt dringenden Handlungsbedarf, denn wir haben sehr viele, auch junge Menschen, die an Long Covid erkrankt sind – und viele sind auch schwer erkrankt. Wir können bislang nicht gezielt behandeln und nicht heilen. Um wirksame Medikamente zu entwickeln, müssen wir die Mechanismen dringend besser erforschen und dann Medikamentenstudien mit Hochdruck durchführen.
Quellen:
Interview mit Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue Centrums der
Charité Berlin; Robert Koch-Institut;
Deutsche Gesellschaft für
Pneumologie und Beatmungsmedizin;
WHO; Bundesgesundheitsministerium;
Nationales Institut für Gesundheit
und Klinische Exzellenz (NICE);
Stiftung Deutsche Depressionshilfe;
Institut für Medizinische Immunologie
an der Charité; Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.: S1-Leitlinie Post Covid/Long-Covid; Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V.
Taquet, M., et al. (2021). Incidence, co-occurrence, and evolution of long-COVID features: A 6-month retrospective cohort study of 273,618 survivors of COVID-19.;
Kedor, et al. (2021). Chronic COVID-19 Syndrome and Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) following the first pandemic wave in Germany – a first analysis of a prospective observational study.;
Santomauro, D., et al. (2021). Global prevalence and burden of depressive and anxiety disorders in 204 countries and territories in 2020 due to the COVID-19 pandemic.;
Sudre, C., et al. (2021). Attributes and predictors of long Covid.;
Augustin, M., et al. (2021). Post-COVID syndrome in non-hospitalised patients with COVID-19: a longitudinal prospective cohort study.;
Puntmann, VO, et al. (2020). Outcomes of Cardiovascular Magnetic Resonance Imaging in Patients Recently Recovered From Coronavirus Disease 2019 (COVID-19).;
Kubánková, M., et al. (2021). Physical phenotype of blood cells is altered in COVID-19.; Nature Journal
Redaktion:
Jennifer Werner, Kevin Schubert
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