Burn-out
Wenn alles zu viel ist
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Es ist ein Samstagmittag, als es passiert. Bei Edgar geht nichts mehr. Kein Schritt, nichts, ganz plötzlich. „Ich stand da und war kurzzeitig wie gelähmt“, erinnert sich der 50-Jährige.
Sein „typischer Samstag“, das Joggen, etwas Arbeit – das ging noch. Doch dann, auf dem Weg zu einem Familienfest, ist Schluss.
Was der Manager erst später begreift: Er hat in diesem Moment eine extreme Form von Burn-out – ein Phänomen, das jede*r Zweite von uns irgendwann im Leben so oder so ähnlich erlebt, schätzt Wirtschaftspsychologe Christian Dormann.
Was ist Burn-out?
Ob Burn-out ein eigenes Syndrom oder eine Unterform der Depression ist, darüber ist sich die Fachwelt uneinig.
Andreas Hillert, Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie, definiert Burn-out als „subjektives Störungsmodell“: Wer sich davon betroffen fühlt, beschreibe mit dem Begriff unspezifische Beschwerden, die auf Überforderung im beruflichen und privaten Bereich zurückgeführt werden.
Für Betroffene sei „Burn-out“ als Begriff hilfreich, um Überlastung offen ansprechen zu können. Der Grund: Ein „Burn-out“ sei mit weniger sozialem Stigma verbunden als psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen.
Burn-out hat das – empirisch widerlegte – Image, wonach die Betroffenen besonders fleißige Menschen sind, die zum Opfer ihres Fleißes wurden: Nur wer gebrannt habe, könne ausbrennen. Deshalb ist es eher attraktiv, wenn man an seine Belastungsgrenzen geraten ist, sich als „ausgebrannt“ zu erleben. Das kann es mitunter erschweren, angemessene Lösungen zu finden, zum Beispiel wenn eigentlich eine Depression dahintersteckt.
Definition in der Wissenschaft und Medizin
Etwa 90 Prozent aller Studien zum Burn-out beschreiben den Zustand mit drei Kriterien:
Gefühl der Erschöpfung
geistige Distanz von Beruf und Pflichten
verringertes Leistungsvermögen
Mit diesen drei Kriterien ist Burn-out auch Teil des Klassifikationssystems ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ärzt*innen können sich daran bei der Diagnose orientieren.
Dennoch gilt Burn-out laut WHO nicht als Krankheit, sondern als Faktor, der Krankheiten auslösen kann. Ursache sei chronischer Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann. Aber Arbeitsstress als alleiniges Kriterium bei Burn-out zu betrachten, kritisieren Expert*innen.
Viele Menschen sind auch freizeit- und familienbezogen erschöpft. Der Burn-out wird bei der WHO sehr eng definiert.
Wie fühlt sich ein Burn-out an?
Ein Burn-out zeigt sich in unseren Emotionen und im Verhalten. Das sind die Warnzeichen:
Emotionale Erschöpfung
Distanz von Beruf und Pflichten
Abnahme der Leistungsfähigkeit
Ein Burn-out ist nicht das gleiche wie Stress. Er hält länger an – und die Symptome sind schwerer.
Im Unterschied zum Alltagsstress, der vorübergehend zu Gereiztheit oder Anspannung führt, fühlt man sich beim Burn-out-Syndrom über einen längeren Zeitraum sehr erschöpft und Betroffene werden von ihren Aufgaben und Pflichten stark eingenommen – so sehr, dass sie die eigenen Interessen vernachlässigen.
Oft treten körperliche Beschwerden im Zusammenhang mit Burn-out auf, die sehr unterschiedlich sein können – auch in ihren Schweregraden:
Burn-out entwickelt sich langsam – meist über Monate bis Jahre.
Auch Hanna war von körperlichen Symptomen betroffen. Die 26-Jährige hatte vor fünf Jahren ihren ersten Burn-out. Sie war zu dem Zeitpunkt Studentin, schrieb ihre Bachelorarbeit – und stand deshalb über mehrere Monate unter Dauerstress. Ihren zweiten Burn-out hatte sie vor zwei Monaten bei einem Job in der Kulturbranche.
Wodurch wird Burn-out ausgelöst?
Einstellungen und Glaubenssätze können zum Risikofaktor für Burn-out werden, zum Beispiel:
Aber auch äußere Umstände spielen eine Rolle, zum Beispiel am Arbeitsplatz:
Auch Belastungen im Privatleben sind ein Risikofaktor, zum Beispiel die Pflege eines Angehörigen, Haushaltsaufgaben oder Kindererziehung.
So begünstigt das Wirtschaftssystem Burn-out
Die Diplom-Soziologin Christina Meyn sieht in Burn-out ein gesamt-gesellschaftliches Problem. Es habe seine Ursachen auch im Wandel von Arbeitsformen und deren Steuerung in Betrieben.
„In den letzten Jahrzehnten sind viele Unternehmen immer globaler und technisch fortgeschritten geworden“, sagt Meyn. „Beschäftigte sind jetzt theoretisch permanent erreichbar, die Aufgaben werden immer komplexer – und teilweise wird rund um die Uhr gearbeitet.“
Unternehmen geht es oft um Wachstum und darum, möglichst effizient zu werden. Für viele Arbeitnehmer*innen heißt das: mehr Leistungsdruck, mehr Aufgaben und die alleinige Verantwortung, Arbeitsergebnisse möglichst schnell zu liefern.
Wie wird Burn-out diagnostiziert?
Es gibt bisher kein standardisiertes und international gültiges Vorgehen, um eine Burn-out-Diagnose zu stellen. Klarheit schafft in der Praxis nur ein ärztliches Gespräch mit einer Reihe von Tests.
Im Internet gibt es zwar eine Reihe von Fragebögen. Die sind aber laut Expert*innen nicht aussagekräftig, denn Erschöpfung oder verringerte Leistungsfähigkeit können unterschiedliche Ursachen haben. Dasselbe gilt für die vielen verschiedenen körperlichen Warnzeichen.
Deshalb müssen Ärzt*innen vor der Diagnose ausschließen, dass eine andere körperliche oder psychische Erkrankung vorliegt.
Vor allem eine Depression lässt sich nur schwer vom Burn-out abgrenzen, weil beides oft gemeinsam auftritt.
Eine Depression unterscheidet sich im Schweregrad vom Burn-out. Schlafstörungen, Suizidalität und Erschöpfung sind bei der Depression viel stärker ausgeprägt. Von einem Burn-out kann man sich auch besser erholen als von einer Depression.
Ab wann muss ich zum Arzt?
Wer zum Beispiel länger anhaltend erhebliche Probleme hat, Leistungsanforderungen im Arbeitsalltag zu bewältigen, und an stark ausgeprägten Symptomen leidet wie z. B. Anspannung, Erschöpfung, Leistungsminderung oder Schlafstörungen, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Lieber zu früh als zu spät.
Für Chefarzt Prof. Andreas Hillert sind Schlafprobleme ein wichtiger Hinweis:
Es ist angemessen, Hilfe zu suchen, wenn man sich zum Beispiel beruflich massiv unter Druck fühlt und mehr als zwei Wochen erhebliche Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten hat.
Hilfe suchen – aber wie?
Ein Besuch beim Hausarzt könne oft ein guter Anfang sein, betont Psychologin Prof. Tuschen-Caffier. „Es ist darüber hinaus aber auch möglich, sich selbständig an niedergelassene Psychotherapeut*innen zu wenden. Das können Psychologische Psychotherapeut*innen oder Ärzt*innen mit entsprechender Fachausbildung für Psychiatrie oder Psychosomatik sein.“
Weil in Deutschland allerdings Psychotherapie-Plätze fehlen, bei denen die Kosten der Behandlung von den Krankenkassen übernommen werden, bleibe vielen nichts anderes übrig, als zu warten. „Aber den Betroffenen wird ein Erstgespräch angeboten werden, in dem abgeklärt wird, ob eine Therapie ratsam ist oder nicht“, sagt Prof. Tuschen Caffier. „Das kann ein erster wichtiger Schritt sein, die Probleme einzuordnen. Dabei kann auch geklärt werden, was man zum Beispiel während der Wartezeit auf einen Psychotherapie-Platz selbst tun kann.“
Wie wird ein Burn-out behandelt?
Die Behandlung eines Burn-outs ist individuell. Dabei kann am Verhalten gearbeitet werden, indem z. B. dazu geraten wird, regelmäßig Pausen einzulegen. Aber auch die therapeutische Arbeit an ungünstigen Gedanken, z. B. Grübeln oder Selbstvorwürfe – und den damit verbundenen Gefühlen, z. B. Anspannung oder Angst –, sind ein wichtiger Baustein bei der Behandlung.
Man kann auch nach den psychischen Ursachen suchen, also warum man sich so von der Arbeit beherrscht fühlt oder warum jemand zum Beispiel so perfektionistisch ist.
Es gilt: Der Therapieansatz muss den Bedürfnissen der Betroffenen entsprechend ausgewählt und kombiniert werden. Das kann Psychotherapie sein bei schweren Burn-out-Symptomen, aber auch Yoga oder autogenes Training bei leichten Symptomen.
Unter Umständen sei es wichtig, den eigenen Lebensentwurf zu überdenken und strukturell etwas im Leben zu verändern, sagt Ökonomin Prof. Christine Schwieren von der Universität Heidelberg. Das könnten auch große Veränderungen wie ein Jobwechsel sein.
Strukturell müsse sich etwas tun, um das Problem zu lösen, argumentiert Soziologin Christina Meyn. Es dürfe nicht nur auf die Betroffenen und ihr Verhalten geschoben werden.
Auch Arbeitgeber müssen handeln. Wenn es Burn-out-Fälle gibt, dann ist es nicht mit zusätzlichen Yoga-Kursen getan. Dann müssen Arbeitsabläufe so verändert werden, dass sie den Stress nicht begünstigen – und ein Burn-out zukünftig gar nicht erst entsteht.
Wie kann man sich vor einem Burn-out schützen?
Prof. Tuschen-Caffier rät:
- Lebenssituation überdenken: Was stresst einen? Wo liegen körperliche und seelische Grenzen? Was muss sich ändern?
- Arbeitsplatzanalyse: Ist das Arbeitspensum überhaupt zu bewältigen? Wo liegen äußere und innere Gründe für Gefühle der Überforderung?
- Falls möglich: Hilfe suchen für die Bewältigung der Aufgaben, klärende Gespräche über Änderungsbedarfe am Arbeitsplatz führen und ggf. Grenzen setzen gegenüber überzogenen Arbeitsanforderungen
- Möglichst regelmäßig Pausen einlegen
- Erreichbarkeit über Handy, Internet, E-Mail reduzieren
- Selbstfürsorge steigern: z. B. für ausreichend Schlaf, Bewegung und gesunde Ernährung sorgen
- Sich wohlwollender und weniger kritisch begegnen, z. B. sich häufiger loben, täglich positive Selbstkommentare für eigenes Handeln finden und aufschreiben
- Zeit nehmen für „kreatives Nichtstun“
- Möglichkeiten finden, die für Entspannung förderlich sind, z. B. Entspannungsverfahren wie autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, in die Natur gehen
Quellen:
Prof. Christiane Schwieren, Ökonomin Universität Heidelberg; Prof. Andreas Hillert, Chefarzt Schön Klinik Roseneck; Prof. Christian Dormann, Wirtschaftspsychologe JGU Mainz; Prof. em. Mathias Berger, ehem. Ärztlicher Direktor, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg; Christina Meyn, Soziologin Sozialforschungsstelle TU Dortmund; Prof. Brunna Tuschen-Caffier, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Freiburg; Bundesministerium für Gesundheit: gesund.bund.de; Weltgesundheitsorganisation; WHO: ICD-11; Positionspapier der DGPPN; HTA-Bericht 105: Differentialdiagnostik des Burnout-Syndroms
Foto: Christina Meyn, justphotography/sfs
Redaktion:
Jennifer Werner,
Kevin Schubert
Im Auftrag des ZDF:
Autor:
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