Egal, wie groß der Mangel ist: Es darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass das ein sehr verantwortungsvoller Beruf ist, den vielleicht auch nicht jeder tragen kann.
Sylvia Klingelhöfer, Lehrerin an einer Pflegeschule
Steckbrief Sylvia Klingelhöfer, 36 Jahre alt Bildet seit fünf Jahren Pflegekräfte aus  Was sie an ihrem Beruf liebt: Zu sehen, wie sich die Auszubildenden fachlich und menschlich entwickeln und sie dabei begleiten zu dürfen  Was sie an ihrem Beruf herausfordernd findet: Niemanden zu unter- oder zu überfordern und keinen ihrer Schülerinnen und Schüler zu verlieren

Die Pflegeklasse

Sylvia Klingelhöfer bildet 27 angehende Altenpflegerinnen und Altenpfleger an einer Berufsschule im brandenburgischen Nauen aus. Sie selbst hat Kinderkrankenschwester gelernt und Frühgeburten betreut.

Sylvia Klingelhöfer Portrait

Heute bringt sie den angehenden Fachkräften den Umgang mit den Ältesten unserer Gesellschaft bei. Durch die Corona-Pandemie stehen die Schülerinnen und Schüler vor einer besonderen Herausforderung.

Zitat: „Unsere Pflegeempfänger brauchen uns jetzt mehr denn je. Wir sind zur Zeit ja auch so ziemlich ihre einzigen sozialen Kontakte.“ Annett Werth [53], Altenpflegeschülerin
Zitat „In diesen recht außergewöhnlichen Zeiten gehe ich gerne zur Arbeit, weil man für die Bewohner da sein kann, wenn es die Angehörigen nicht können. Und auch die Kollegen schweißt es in meinen Augen zusammen, da man nur gemeinsam durch die schweren Zeiten kommt.“ Martin Lehmann [42], Altenpflegeschüler
Also am Anfang war es einfach sehr, sehr unruhig und mit Sicherheit auch viele Unsicherheiten dabei. [...] Dann fehlten Schutzausrüstungen, dann waren von einem auf den anderen Tag wieder Änderungen, die am nächsten Tag wieder nicht galten.
Sylvia Klingelhöfer, Ausbilderin von Altenpflegekräften

Sylvia Klingelhöfer vermittelt ihrer Klasse über mehrere Wochen die Altenpflege in der Theorie. Danach gehen die Schülerinnen und Schüler in ihre Praxisbetriebe: in Seniorenwohnheime oder in die ambulante Pflege.

Pflege in Deutschland

Das Bild zeigt die Hand einer Pflegekraft, die auf der Hand eines älteren Menschen liegt

Pflegekräfte in Zahlen
Rund 580.000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Altenpflege, rund 310.000 als Fachkräfte mit dreijähriger Ausbildung und rund 270.000 als Altenpflegehelferinnen und -helfer, die die Fachkräfte bei deren Arbeit unterstützen.

Und: Pflege ist weiblich. Mehr als vier von fünf Pflegekräften sind Frauen.

5 Pflegeicons, 4 davon sind weiblich

84% aller Beschäftigten in der Altenpflege sind Frauen.

Das Pflegepersonal trifft auf rund 3,4 Millionen Pflegebedürftige – alte und kranke Menschen mit Einschränkungen.

Und auch wenn in den vergangenen Jahren tausende neue Stellen geschaffen wurden und die Zahl der Auszubildenden steigt: Es reicht nicht. Schon heute fehlen 35.000 bis 120.000 Altenpflegerinnen und Altenpflegehelfer, je nach Schätzung.

Die Konsequenz: Auf 100 offene Stellen kommen gerade mal 19 arbeitssuchende Fachkräfte – eine Stelle bleibt durchschnittlich ein halbes Jahr lang unbesetzt.

Icon-Darstellung: 100 Kliniken, 19 Pflegepersonen

(Quelle: Bundesagentur für Arbeit)

Und das Problem verschärft sich: Bis 2050 werden in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen pflegebedürftig sein.

Die Grafik zeigt den Anstieg der Pflegekräfte und den Anstieg der Pflegebedürftigen

Prognose der Zahl der Pflegebedürftigen und entsprechend benötigter Pflegekräfte:

2020:

3,32 Mio. Pflegebedürftige | 586.255 Pflegekräfte

2050:

5,09 Mio. Pflegebedürftige | 956.628 Pflegekräfte

Die meisten Schülerinnen und Schüler von Sylvia Klingelhöfer schrecken solche Szenarien nicht ab.

Im Gegenteil: Sie haben sich bewusst für die Altenpflege entschieden. Manche haben schon als Jugendliche die eigenen Großeltern gepflegt und direkt nach der Schule die Ausbildung begonnen.

Andere haben schon jahrelang als Altenpflegehelferinnen und -helfer gearbeitet und wollen sich jetzt zur Fachkraft weiterbilden – für mehr Geld und mehr Verantwortung.

Zitat: „Ich bin so ein Machertyp und die Arbeit an sich macht mir Spaß. Und ich finde schon schön, wenn man mir jetzt mehr Verantwortung in meine Arbeit legt, die ich bis jetzt hab. Das spornt mich eigentlich schon an, als Fachkraft zu arbeiten, wo ich mal mein Wissen weitergeben kann.” Insert: Ines Henkel, bisher Altenpflegehelferin, 56 Jahre
Zitat: “Ich möchte halt einfach den Menschen den letzten Lebensabschnitt so schön wie möglich gestalten.” Insert: Patricia Kramer, angehende Altenpflegerin, 19 Jahre
Zitat: „Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute in den Beruf einsteigen. Natürlich müsste er dafür wahrscheinlich auch besser bezahlt werden, dann würde es vielleicht auch einen größeren Anreiz geben.” Insert: Laura Widulla, angehende Altenpflegerin, 24 Jahre alt

Einkommen

Frau, die Geld aus der Brieftasche zieht

Pflege ist noch immer schlecht bezahlt.
2016 verdienten Altenpflegerinnen und Altenpfleger rund 16 % weniger als der Durchschnitt aller Beschäftigten.

Doch der Trend scheint nach oben zu gehen: 2019 lag das durchschnittliche Bruttoeinkommen für eine Fachkaft im Altenheim laut Statistischem Bundesamt bei 3.100 Euro.

Aber die regionalen Unterschiede sind enorm.

Ein Beispiel: Eine Altenpflegefachkraft in Brandenburg verdient nur 80 % des Gehalts einer Fachkraft im Saarland.

Monatliche Bruttoentgelte von Fachkräften nach Bundesländern

Eine Deutschlandkarte zeigt die immensen Verdienstunterschiedein den jeweiligen Bundesländern

(Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2018)

Ab Juli dieses Jahres sollen die Mindestlöhne für Hilfskräfte in der Pflege in vier Schritten auf 12,55 Euro pro Stunde steigen – einheitlich in Ost- und Westdeutschland. Zum ersten Mal wurde außerdem ein Pflegemindestlohn für Fachkräfte festgelegt. Er soll zum 1. Juli 2021 eingeführt werden und bei 15,00 Euro pro Stunde liegen.

Zusätzlich soll es eine Corona-Prämie für Pflegekräfte geben: Alle Beschäftigten in der Altenpflege erhalten in diesem Jahr einen gestaffelten Anspruch auf eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von bis zu 1.000 Euro.

Unzufriedenheit in der Ausbildung

Zwei Menschen stehen am Ende des Korridors im Krankenhaus – Stockfoto

Auch wenn die Motivation in der Klasse von Sylvia Klingelhöfer anfangs hoch war: Nach einem Jahr sind viele Schülerinnen und Schüler unzufrieden.

Einige haben ihren Ausbildungsbetrieb gewechselt, mehr als ein Drittel hat die Ausbildung sogar komplett abgebrochen. In Sylvias Klasse sind nur noch 17 Schülerinnen und Schüler.

Icon-Darstellung einer Schulklasse: 17 Plätze sind belegt, 10 sind frei

Manche wurden den Anforderungen an die theoretische Ausbildung nicht gerecht, andere hatten falsche Erwartungen an den Job oder wurden von Anfang an wie eine vollwertige Fachkräfte eingesetzt und überfordert.

Und: In der Praxis fehlt oft die Zeit, alte Menschen so zu pflegen, wie es im Unterricht vermittelt wird.

Das größte Problem ist der Theorie-Praxis-Transfer. Ich als Lehrerin bleibe dabei: Ich habe mein Ideal und ich werde das Ideal auch vermitteln. Ich weiß aber, dass das Ideal nicht umsetzbar ist in der Praxis.
Sylvia Klingelhöfer, Klassenlehrerin, zu Beginn der Ausbildung | Oktober 2018

Unzufriedenheit der Altenpflegeschülerinnen und -schüler

Unter Altenpflegeschülerinnen und -schülern sind rund 40 % unzufrieden mit ihrer Ausbildung. In allen anderen Branchen sind es im Durchschnitt nur 28 %. Ein Hauptgrund sind die Arbeitsbedingungen.

Ich fühle mich insbesondere belastet durch… -	Arbeiten unter Zeitdruck: 63,7 %  -	Probleme im Team: 37,7% -	Fehlende Pausen: 37,3% -	Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf: 33,7% -	Schweres Heben und Tragen: 33,6%

(Quelle: Ausbildungsreport Pflegeberufe 2015, ver.di)

Was sind die häufigsten Gründe, warum Pflegekräfte vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden? Richtig: Rücken und Burnout.
Sylvia Klingelhöfer, bildet Altenpflegekräfte aus
Icon-Darstellung von Burnout

Das Arbeiten in der Altenpflege macht krank – und das deutlich häufiger als in anderen Berufen.

Gegenüberstellung der krankheitsbedingten Fehltage: Altenpflegerinnen fehlen 28 Tage, der Durchschnitt aller Beschäftigten 18 Tage

Ein häufiger Grund: psychische Leiden wie Burnout. Hier halten Altenpflegerinnen und Altenpfleger den traurigen Spitzenplatz unter allen erhobenen Berufsgruppen.

Außerdem geben rund 43 % der Befragten eine „aktuell schlechte Arbeitsfähigkeit” an, jede/r Dritte geht nicht davon aus, den Beruf in zwei Jahren noch auszuüben. Auswertungen der Deutschen Rentenversicherung zeigen, dass vor allem psychische Störungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus Pflegeberufen führen.

Corona und die Ausbildung

Altenpflegerin mit Mundschutz - Stockbild

Die Corona-Pandemie trifft seit März auch die Klasse von Sylvia Klingelhöfer. Plötzlich ist alles anders: Homeschooling statt Unterricht, abgeschottete Einrichtungen und besondere Schutzmaßnahmen.

Aber auch: mehr gesellschaftliche Wahrnehmung und Anerkennung.

Für meine Auszubildenden wünsche ich mir [...], dass sie für sich selber ihren eigenen Wert, den sie da haben, erkennen.
Sylvia Klingelhöfer, bildet Altenpflegekräfte aus

Zitat: "Für die Zukunft wünsche ich mir eigentlich nur eines: dass der Pflegeberuf endlich so geschätzt und entlohnt wird, wie wir es wirklich alle verdient haben. Und dass keiner von uns mehr Überstunden oder Doppelschichten fahren muss.“ Ines Henkel, 56, Altenpflegeschülerin
Zitat: "Es braucht einen höheren Personalschlüssel – und einen einheitlichen. Denn ist die Pflege im Osten anders als im Westen? Nein! Mehr Personal bedeutet, mehr Zeit am und mit dem Menschen zu haben. Und das Wichtigste ist, dass wir die Anerkennung, die wir jetzt in der Corona-Krise erfahren, auch weiterhin bekommen. Auch dann noch, wenn durch höhere Gehälter vielleicht die Beiträge für Pflege steigen." Nico Korth, 40, Altenpflegeschüler
Zitat: "Natürlich wünscht man sich immer mehr Gehalt und mehr Anerkennung, für mich ist es aber nicht nur das. Letztendlich machen wir den Job, um anderen zu helfen und für andere da zu sein – und das geht nur gemeinsam. Das heißt auch, dass mehr Leute in der Pflege gebraucht werden, ansonsten gehen die Pflegenden irgendwann kaputt." Martin Lehmann, 42, Altenpflegeschüler

Logos: ZDF-Mittagsmagazin und ZDFheute

Quellen:
„Pflegestatistik 2017“ Statistisches Bundesamt, 2018; „Pflege-Report 2019”, Klaus Jacobs (Hrsg.) u.a., 2020; „Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich” Bundesagentur für Arbeit, 2019; „Ausbildungsreport Pflegeberufe 2015” ver.di, 2015; BKK-Gesundheitsreport 2019; Statistisches Bundesamt 2020; Material von: dpa, kna, epd; Bundesgesundheitsministerium; Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Fotos:
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Autorinnen:
Lan-Na Grosse, Nancy Fischer

Redaktion:
Jennifer Werner, Karsten Kaminski

Im Auftrag des ZDF:

Redaktion:
Sophie Gülzow

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Jens Albrecht, Mischa Biekehör