
Egal, wie groß der Mangel ist: Es darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass das ein sehr verantwortungsvoller Beruf ist, den vielleicht auch nicht jeder tragen kann.

Die Pflegeklasse

Sylvia Klingelhöfer bildet 27 angehende Altenpflegerinnen und Altenpfleger an einer Berufsschule im brandenburgischen Nauen aus. Sie selbst hat Kinderkrankenschwester gelernt und Frühgeburten betreut.

Heute bringt sie den angehenden Fachkräften den Umgang mit den Ältesten unserer Gesellschaft bei. Durch die Corona-Pandemie stehen die Schülerinnen und Schüler vor einer besonderen Herausforderung.
Also am Anfang war es einfach sehr, sehr unruhig und mit Sicherheit auch viele Unsicherheiten dabei. [...] Dann fehlten Schutzausrüstungen, dann waren von einem auf den anderen Tag wieder Änderungen, die am nächsten Tag wieder nicht galten.
Sylvia Klingelhöfer vermittelt ihrer Klasse über mehrere Wochen die Altenpflege in der Theorie. Danach gehen die Schülerinnen und Schüler in ihre Praxisbetriebe: in Seniorenwohnheime oder in die ambulante Pflege.
Pflege in Deutschland

Pflegekräfte in Zahlen
Rund 580.000 Menschen arbeiten in Deutschland in der Altenpflege, rund 310.000 als Fachkräfte mit dreijähriger Ausbildung und rund 270.000 als Altenpflegehelferinnen und -helfer, die die Fachkräfte bei deren Arbeit unterstützen.
Und: Pflege ist weiblich. Mehr als vier von fünf Pflegekräften sind Frauen.

84% aller Beschäftigten in der Altenpflege sind Frauen.
Das Pflegepersonal trifft auf rund 3,4 Millionen Pflegebedürftige – alte und kranke Menschen mit Einschränkungen.
Und auch wenn in den vergangenen Jahren tausende neue Stellen geschaffen wurden und die Zahl der Auszubildenden steigt: Es reicht nicht. Schon heute fehlen 35.000 bis 120.000 Altenpflegerinnen und Altenpflegehelfer, je nach Schätzung.
Die Konsequenz: Auf 100 offene Stellen kommen gerade mal 19 arbeitssuchende Fachkräfte – eine Stelle bleibt durchschnittlich ein halbes Jahr lang unbesetzt.

(Quelle: Bundesagentur für Arbeit)
Und das Problem verschärft sich: Bis 2050 werden in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen pflegebedürftig sein.
Prognose der Zahl der Pflegebedürftigen und entsprechend benötigter Pflegekräfte:
2020:
3,32 Mio. Pflegebedürftige | 586.255 Pflegekräfte
2050:
5,09 Mio. Pflegebedürftige | 956.628 Pflegekräfte
Die meisten Schülerinnen und Schüler von Sylvia Klingelhöfer schrecken solche Szenarien nicht ab.
Im Gegenteil: Sie haben sich bewusst für die Altenpflege entschieden. Manche haben schon als Jugendliche die eigenen Großeltern gepflegt und direkt nach der Schule die Ausbildung begonnen.
Andere haben schon jahrelang als Altenpflegehelferinnen und -helfer gearbeitet und wollen sich jetzt zur Fachkraft weiterbilden – für mehr Geld und mehr Verantwortung.
Einkommen

Pflege ist noch immer schlecht bezahlt.
2016 verdienten Altenpflegerinnen und Altenpfleger rund 16 % weniger als der Durchschnitt aller Beschäftigten.
Doch der Trend scheint nach oben zu gehen: 2019 lag das durchschnittliche Bruttoeinkommen für eine Fachkaft im Altenheim laut Statistischem Bundesamt bei 3.100 Euro.
Aber die regionalen Unterschiede sind enorm.
Ein Beispiel: Eine Altenpflegefachkraft in Brandenburg verdient nur 80 % des Gehalts einer Fachkraft im Saarland.
Monatliche Bruttoentgelte von Fachkräften nach Bundesländern

(Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2018)
Ab Juli dieses Jahres sollen die Mindestlöhne für Hilfskräfte in der Pflege in vier Schritten auf 12,55 Euro pro Stunde steigen – einheitlich in Ost- und Westdeutschland. Zum ersten Mal wurde außerdem ein Pflegemindestlohn für Fachkräfte festgelegt. Er soll zum 1. Juli 2021 eingeführt werden und bei 15,00 Euro pro Stunde liegen.
Zusätzlich soll es eine Corona-Prämie für Pflegekräfte geben: Alle Beschäftigten in der Altenpflege erhalten in diesem Jahr einen gestaffelten Anspruch auf eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von bis zu 1.000 Euro.
Unzufriedenheit in der Ausbildung

Auch wenn die Motivation in der Klasse von Sylvia Klingelhöfer anfangs hoch war: Nach einem Jahr sind viele Schülerinnen und Schüler unzufrieden.
Einige haben ihren Ausbildungsbetrieb gewechselt, mehr als ein Drittel hat die Ausbildung sogar komplett abgebrochen. In Sylvias Klasse sind nur noch 17 Schülerinnen und Schüler.

Manche wurden den Anforderungen an die theoretische Ausbildung nicht gerecht, andere hatten falsche Erwartungen an den Job oder wurden von Anfang an wie eine vollwertige Fachkräfte eingesetzt und überfordert.
Und: In der Praxis fehlt oft die Zeit, alte Menschen so zu pflegen, wie es im Unterricht vermittelt wird.
Das größte Problem ist der Theorie-Praxis-Transfer. Ich als Lehrerin bleibe dabei: Ich habe mein Ideal und ich werde das Ideal auch vermitteln. Ich weiß aber, dass das Ideal nicht umsetzbar ist in der Praxis.
Unzufriedenheit der Altenpflegeschülerinnen und -schüler
Unter Altenpflegeschülerinnen und -schülern sind rund 40 % unzufrieden mit ihrer Ausbildung. In allen anderen Branchen sind es im Durchschnitt nur 28 %. Ein Hauptgrund sind die Arbeitsbedingungen.

(Quelle: Ausbildungsreport Pflegeberufe 2015, ver.di)
Was sind die häufigsten Gründe, warum Pflegekräfte vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden? Richtig: Rücken und Burnout.

Das Arbeiten in der Altenpflege macht krank – und das deutlich häufiger als in anderen Berufen.

Ein häufiger Grund: psychische Leiden wie Burnout. Hier halten Altenpflegerinnen und Altenpfleger den traurigen Spitzenplatz unter allen erhobenen Berufsgruppen.
Außerdem geben rund 43 % der Befragten eine „aktuell schlechte Arbeitsfähigkeit” an, jede/r Dritte geht nicht davon aus, den Beruf in zwei Jahren noch auszuüben. Auswertungen der Deutschen Rentenversicherung zeigen, dass vor allem psychische Störungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus Pflegeberufen führen.
Corona und die Ausbildung

Die Corona-Pandemie trifft seit März auch die Klasse von Sylvia Klingelhöfer. Plötzlich ist alles anders: Homeschooling statt Unterricht, abgeschottete Einrichtungen und besondere Schutzmaßnahmen.
Aber auch: mehr gesellschaftliche Wahrnehmung und Anerkennung.
Für meine Auszubildenden wünsche ich mir [...], dass sie für sich selber ihren eigenen Wert, den sie da haben, erkennen.


Quellen:
„Pflegestatistik 2017“ Statistisches Bundesamt, 2018; „Pflege-Report 2019”, Klaus Jacobs (Hrsg.) u.a., 2020; „Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich” Bundesagentur für Arbeit, 2019; „Ausbildungsreport Pflegeberufe 2015” ver.di, 2015; BKK-Gesundheitsreport 2019; Statistisches Bundesamt 2020; Material von: dpa, kna, epd; Bundesgesundheitsministerium; Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Fotos:
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Autorinnen:
Lan-Na Grosse, Nancy Fischer
Redaktion:
Jennifer Werner, Karsten Kaminski
Im Auftrag des ZDF:
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