Undercover im Nazi-Chat

Wie sich Rechtsextreme bei Telegram vernetzen

Seit Oktober 2019 hat das ZDFheuteCheck-Team mehrere rechte und rechtsextreme Telegram-Gruppen beobachtet und tausende Nachrichten ausgewertet.

Es sind öffentliche Chat-Gruppen, denen jeder beitreten kann, sofern er über einen Link zu diesem Chat verfügt.

10 Chatsymbole. Eine Lupe fährt über die einzelnen Symbole.

Warum auf Telegram?

In der Chat-App, die von russischen Entwicklern erstellt wurde, existiert ein breites Spektrum an rechtem Aktivismus, ein Beispiel:

Telegram-Logo steht in der Mitte. darum ein Netzwerk mit Chats von NPD, Pegida und der "identitären Bewegung"

Telegram scheint ein sicherer Hafen für deutsche Rechtsextreme zu sein.

Das rechtsextreme Magazin „N.S. Heute“ fordert auf seinem Telegram-Kanal Freiheit für die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.

Ein Foto der Holochaust-Leugnerin Ursula Haverbeck

Andere Telegram-Gruppen wie „Patriotismus“ streben eine Wiederkehr des Nationalsozialismus an. Ein Mitglied schreibt:

Ich will eine nationalsozialistische Aristokratie, in der die fähigsten Leute regieren, nicht einfach irgendjemand. Ich lehne Demokratie ab! Demokratie schadet dem Volk und dient einzig allein diesen paar internationalen, wurzellosen Parasiten, die sämtliche Schlüsselstellungen in der Demokratie inne haben.
Quelle: Telegram-Gruppe „Patriotismus“

Telegram greift auch nicht ein, wenn in einem Chat, in dem ein Kongress mit rechten Aktivisten vorbereitet wird, Türken die Erschießung gewünscht wird.

Ein Chatverlauf wird gezeigt: Nutzer 1: "Bekomm die Kotze die versuchen so sehr uns Türken als Teil zu verkaufen habe gerade nen Film gesehen da sagen die Schauspieler lass uns einen schönen zidre trinken hat mich genervt hab den Film im Original gesucht da sagen die Schauspieler aber Apfeltee so ein Dreck." Nutzer 1: An jeder Ecke soll man die Eself mögen zum kotzen." Nutzer 2: "Ich mag sie alle mit ner Kugel im Genick."

Mit „eingreifen“ ist hier nicht gemeint, dass Telegram live und unmittelbar tätig wird, etwa bestimmte Inhalte direkt zensiert. Eingreifen meint, dass Telegram auch nachträglich in irgendeiner Form gegen Inhalte und Nutzer vorgeht, die illegale Inhalte verbreiten.

Diesen Schritt gehen andere Anbieter, die in Deutschland tätig sind. Telegram hat das in der Vergangenheit auch bei islamistischen Inhalten getan.

Diverse Mitglieder haben in den Chats von ihren Konflikten mit dem Staat berichtet, darunter sind aus unserer Sicht glaubhafte Schilderungen von Gerichtsprozessen, Razzien, Festnahmen, aktiven Rollen in Parteien, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Einige berichten von Hausdurchsuchungen und Befragungen durch den Verfassungsschutz.

Ich mache jetzt weiter.
Jetzt erst recht.
Ein User im Chat Revolution Arts | 07.03.2020

Ob das Angeberei ist oder die Hausdurchsuchung wirklich so stattgefunden hat, lässt sich jedoch nicht nachprüfen.

Das Bundeskriminalamt beobachtet rund 140 Telegram-Kanäle.

Eine Vielzahl von Chat-Icons. Eine Lupe mit einem Auge darauf, gleitet darüber.

Welche davon rechtsextrem sind, möchte die Behörde nicht mitteilen, bestätigt aber eine „verstärkte Nutzung von Telegram“ durch rechtsextreme Gruppen.

Warum kann sich der rechte Hass auf Telegram ausbreiten?

Nutzer im Chat schreibt: Aber zurzeit ist telegram sicher als Whatsapp.....telegram hat der Jude noch nicht die Finger drin

Telegram hat der Jude noch nicht die Finger drin.
Unbekannter User

So begründet ein User in der Chatgruppe „Treue Stolz & Kameradschaft“ seine Vorliebe für Telegram – mit antisemitischer Parole.

Das bleibt so stehen, denn Telegram pocht auf die Meinungsfreiheit der Nutzer:

Alle Telegram- und Gruppen-Chats sind die Privatsache der jeweiligen Nutzer und wir nehmen keine Anfragen dazu an, diese zu bearbeiten.
Telegram FAQs

Das BKA scheint dagegen hilflos – auf Anfrage schreibt die Behörde:

Erfahrungsgemäß ist Telegram nicht kooperativ, Inhalte werden nicht gelöscht.
E-Mail des Bundeskriminalamts | 03.03.2020

Wir haben Telegram mehrfach zwischen März und Mai mit dem Vorwurf konfrontiert, nichts gegen rechtsextreme und neonazistische Gruppierungen und Inhalte auf ihrer Plattform zu unternehmen. Eine Reaktion kam weder von dem für Deutschland zuständigen Sprecher noch von der Firmenzentrale in Dubai.

Ein Hebel gegen Hass in sozialen Netzwerken soll das NetzDG sein, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Betreiber müssen rechtswidrige Inhalte löschen, wenn sie ihnen gemeldet werden. Allerdings gilt Telegram nicht als soziales Netzwerk, sondern als Messenger – und fällt somit nicht unter das NetzDG.

Extremismusforscher Jakob Guhl kritisiert das – für ihn erfüllt Telegram in Teilen die Funktion eines sozialen Netzwerks:

Wenn man als rechtsextremer Influencer einen Kanal bei Telegram hat mit 30.000 Followern, dann ist das als Funktion, finde ich, nicht besonders ähnlich wie ein Messenger.
Jakob Guhl, Extremismusforscher

Wie vernetzen sich die Gruppen untereinander?

Die Chats verweisen regelmäßig aufeinander. Auch sind viele Teilnehmer in mehreren Gruppen aktiv.

So sind wir bei der Recherche immer wieder auf neue Gruppen gestoßen.

Daneben laden Nutzer andere Mitglieder auch auf andere Chat-Plattformen wie Discord ein.

Jakob Guhl warnt vor einer Radikalisierung.

Dass auch, wenn der Gruppenkonsens der ist, dass Gewalt nicht legitim ist, dass dann sich einzelne Personen oder Subgruppen daraus dazu entschließen können, dass das nicht mehr weit genug geht.
Jakob Guhl, Extremismusforscher

Guhl und seine Kollegen schätzen, dass zwischen 15.000 und 50.000 deutschsprachige Rechtsextreme alternative Plattformen wie Telegram nutzen.

Ein Grund: Mainstream-Plattformen wie Facebook oder YouTube sperren immer häufiger Rechtsextreme und ihre Inhalte.

Über was wird in den Chats geschrieben?

Hass und Alltagsgeschichten stehen in vielen Gruppen eng nebeneinander. Das schafft ein Gefühl der Gemeinschaft und der Zugehörigkeit.

Doch selbst die Geburt eines Kindes wird ideologisch gedeutet. Neugeborene werden als Ressource für die Erhaltung eines vermeintlichen Deutschtums gesehen.

Ereignisse wie das rassistische Attentat von Hanau lösen in den beobachteten Gruppen Debatten aus. Zahlreiche Nutzer verbreiten Verschwörungstheorien über den Tathergang.

Chatnachricht von Nutzer1: Hanau:  Steckt die Arabische Mafia hinter dem Anschlag??“

Auch Fake-News über das Coronavirus werden ausgetauscht:

Chatverlauf: Nutzer 1: „Ich denk es ist ne Biowaffe.“ Nutzer 2: „Außerdem ist eh ne Überbevölkerung auf der Welt, so ein Virus wird nicht zufällig freigesetzt“

Fazit:
Auf Telegram existiert ein breites Spektrum an rechten Kanälen und Gruppen. Das bestätigen unsere Analysen und Experteninterviews.

Hetze und Hass können sich oft unwidersprochen ausbreiten.

Autoren:
Julia Klaus, Nils Metzger

Redaktion:
Jennifer Werner, Karsten Kaminski

Im Auftrag des ZDF:

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