Ein Jahr Corona in Wuhan
Vom Ausbruch des Virus bis zur Rückkehr des Alltags
Bis heute gilt Wuhan als Ursprungsort der Corona-Pandemie. Auch wenn Chinas Regierung dem widerspricht.
Als erste Stadt weltweit wurde Wuhan von der Wucht des Virus getroffen – bis China mit harten Maßnahmen reagierte.
In Wuhan herrscht heute wieder Alltag. Viele Fragen zum Ausbruch sind auch heute noch unbeantwortet und werden derzeit erforscht.
Ein Jahr nach dem Corona-Ausbruch kehren wir zurück an die Orte, an denen alles begann:
Der Ausbruch
Die ersten bekannten Corona-Fälle konzentrieren sich um den Huanan-Fischmarkt im Zentrum Wuhans.
Im Dezember 2019 berichten Ärzt*innen, dass Patient*innen mit Lungenentzündungen nicht mehr auf herkömmliche Therapien reagieren.
Heute weiß man, dass bereits am 1. Dezember ein Patient in Wuhan mit dem Coronavirus infiziert war.
Aus wenigen Fällen werden Dutzende. Aus Dutzenden werden Tausende, wie aktuelle Modellrechnungen zeigen:
Mediziner*innen schlagen Alarm, aber die Öffentlichkeit erfährt nichts von der neuen Krankheit. Kritiker*innen werden zum Schweigen gebracht.
Erst Tage nach den ersten Warnungen informiert China am 31. Dezember 2019 die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Die Ausbreitung
Anfang Januar 2020 ist die Seuche bereits außer Kontrolle.
In Wuhans Krankenhäusern gibt es nicht genügend Betten. Das Gesundheitssystem ist überfordert: Es fehlen Masken, Tests, Beatmungsgeräte und Hygiene-Standards. Krankenhäuser werden zu Pandemietreibern.
Mein Vater wachte von seiner Oberschenkel-Operation am 22. Januar auf. Sie war eigentlich sehr erfolgreich gewesen. Zwei, drei Tage später bekam er allerdings Fieber. Am 29. Januar erklärte mir der Arzt, dass mein Vater am Coronavirus erkrankt sei.
Spätestens Anfang Januar 2020 sind Ärzt*innen in Wuhan überzeugt, dass es sich um ein neuartiges SARS-Virus handelt.
Aber erst am 20. Januar räumt Chinas Chef-Epidemiologe die Mensch-zu-Mensch-Übertragung ein, obwohl Kritiker*innen schon lange davor gewarnt hatten. Wochen nach den ersten Fällen beginnt China damit, alle Kräfte zu mobilisieren, um die Ausbreitung zu stoppen.
In Wuhan entstehen zwei neue Krankenhäuser in nur zehn Tagen. 20.000 Ärzt*innen, Pfleger*innen und Krankenschwestern aus ganz China eilen Wuhan zur Hilfe.
Ende Januar gibt es nach offiziellen Angaben 2.744 Fälle und 81 Tote in Wuhan.
Der Lockdown
Am 23. Januar 2020 wird Wuhan vollständig abgeriegelt. Einwohner*innen müssen in ihren Wohnungen bleiben.
Seuchenschützer*innen überprüfen jeden Haushalt. Kranke werden in Massenunterkünfte gebracht. China erklärt den Kampf gegen das Virus zum Volkskrieg.
Mit allen Mitteln soll die Ausbreitung verhindert werden. 76 Tage ist die Stadt von der Außenwelt abgeriegelt. Bis zum 8. April 2020 gibt es offiziell 50.333 Infizierte und 3.869 Corona-Tote.
Die Propaganda
Während sich das Coronavirus im Rest der Welt ausbreitet, erklärt China den Sieg über die Seuche und betitelt Wuhan zur Stadt der Helden.
In einer großen Ausstellung im Kongresszentrum ehrt Wuhan die chinesische Staatsführung und die medizinischen Helfer*innen. Hier wird deutlich: In der großen Geschichte vom Sieg des Volkes ist kein Platz für Kritik und kein Platz für Opfer.
Wuhan wird nicht als Seuchenherd dargestellt, sondern als Paradebeispiel chinesischer Pandemiebekämpfung.
Das wird in der Ausstellung gezeigt:
Wuhan wurde im Lockdown stigmatisiert. Die Ausstellung macht ihn zur Quelle von Stolz und Heldentum.
Rückkehr zum Alltag
In Wuhan herrscht heute wieder verhaltener Alltag, was in Europas Städten undenkbar ist. Konzerte finden statt, in Bars können sich Menschen auch wieder ohne Masken treffen. Es wird wieder getanzt und die Einkaufsstraßen sind gefüllt.
Doch die Pandemie hat Spuren hinterlassen:
Wärmesensoren kontrollieren überall die Körpertemperatur. Masken bleiben Teil des neuen Alltags. Die Wunden sind längst nicht verheilt.
Die Ermittlung
Lange hat China die Mission der WHO verhindert. Erst ein Jahr nach dem Ausbruch, am 14. Januar 2021, kann eine Delegation internationaler Wissenschaftler*innen mit ihrer Untersuchung über den Ursprung der Pandemie beginnen.
Fragen der Delegation:
• Woher kommt das Coronavirus?
• Welcher Wirt hat das Virus auf
Menschen übertragen?
• Wann und wo sind die ersten
Ansteckungen aufgetreten?
Zwölf Tage nach Beginn der Untersuchung präsentiert die WHO-Delegation gemeinsam mit chinesischen Kolleg*innen ihren ersten Zwischenbericht:
• Fledermäuse könnten das Virus direkt auf Menschen übertragen haben.
• Wahrscheinlicher sei aber, dass das Virus von einer Fledermaus über einen Zwischenwirt auf Menschen übergesprungen sei.
• Chinesische Wissenschaftler*innen vermuten außerdem, dass Virus könnte auf Tiefkühlware nach Wuhan gelangt sein.
• Die Vermutung, das Virus sei aus einem Hochsicherheitslabor entsprungen, wird von der WHO nicht weiter verfolgt.
Nach Aussage der WHO gebe es keine eindeutigen Beweise, dass Wuhan der Ursprungsort der Pandemie sei. Kritiker*innen hingegen fordern, die Erkenntnisse chinesischer Forscher*innen dürften nicht länger unter Verschluss bleiben.
Die WHO will ihre Suche auf eine größere Region in Südostasien ausdehnen. Es bleiben Zweifel, ob die Wahrheit über den Ausbruch der Pandemie so bald ans Licht kommen wird.
Quellen:
Lancet; New York Times; BBC; Huang C., et al. (2020). Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China; Northeastern University, USA; Aljazeera, Johns Hopkins University; Prof. Lauren Gardner, Johns Hopkins University; Prof. Trevor Bedford, Hutchinson Center and University of Washington
Fotos:
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Autor:
Alexander Glodzinski
Redaktion:
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